Was ist Hypochondrie?
Kennzeichen der Krankheitsangst
Sie möchten wissen, was Hypochondrie ist und welche Symptome damit einhergehen? Sie möchten erfahren, wie es zur Diagnose einer Hypochondrie kommt? Oder kennen übermäßige Angst vor Krankheiten von einem Angehörigen und möchten mehr darüber erfahren?
Dann lesen Sie weiter und erfahren Sie auch, welche Hilfen es bei Krankheitsängsten gibt.
Je früher Sie sich mit dem Thema auseinandersetzen, umso eher können Sie möglichen langfristigen Folgen wie einer Verstärkung der Ängste, sozialem Rückzug oder depressiver Verstimmung vorbeugen.
Pauls Angst vor Herzinfarkt und Krebs, ein Fallbeispiel:
Der 30-jährige Lehrer Paul mit diagnostizierter Colitis leidet unter verschiedenen körperlichen Beschwerden, derzeit sind es Druckempfinden im linken Brustbereich und Schmerzen in der Magen- und Darmgegend. Wenn diese auftreten, befürchtet er, lebensgefährlich erkrankt zu sein: Der Druck im linken Brustbereich könnte auf eine Herzkrankheit oder einen nahenden Herzinfarkt hinweisen, die Schmerzen in der Darmgegend könnten Darmkrebs sein. Er versucht dann, so schnell wie möglich zum Arzt zu gehen. In den letzten vier Monaten wurden eine Darmspiegelung, zweimalig ein Blutbild, und fürs Herz drei EKGs durchgeführt. Alle Untersuchungen waren ohne auffälligen Befund.
Immer, wenn die Ärzte ihm mitteilten, dass alles in Ordnung sei, reduzierten sich seine Ängste und Schmerzen schnell. Nach wenigen Tagen, bei erneutem Auftreten der Beschwerden, befürchtete er jedoch wieder, erkrankt zu sein und überlegte, ob die Ärzte etwas übersehen haben könnten. Er kontrolliert dann regelmäßig seinen Blutdruck. Paul kann sich kaum auf die notwendigen Arbeiten für seinen Beruf konzentrieren, die Arztbesuche fressen viel Zeit und er hat zuletzt kaum Zeit, seinem Hobby Wandern nachzugehen. Dies hat er zudem auch mehr und mehr aufgegeben, da er befürchtet, bei einem Herzinfarkt zu weit entfernt von jeglicher ärztlicher Hilfe zu sein.

Was ist Hypochondrie, Krankheitsangst und Gesundheitsangst? Eine Begriffsbestimmung
Das Wort Hypochondrie setzt sich zusammen aus den Wörtern „hypo“ (unter) und „chondros“ (Knorpel oder falsche Rippen) und bezeichnet die Körperregion in Höhe der unteren Rippen. Der Begriff wurde in der Antike erstmals verwendet und spiegelt die damalige Vermutung wider, dass es einen Zusammenhang zwischen einer Störung dieses Körperbereichs und psychischem Leiden gäbe. Im Verlauf der Jahrhunderte bekam die Hypochondrie immer wieder etwas andere Bedeutungen und war mal im Trend, mal verpönt. Im 19. Jahrhundert wurde sie zunehmend als übertriebene Angst vor Krankheiten bei eingebildeten Symptomen angesehen und belächelt.
Aufgrund dieses negativen Beiklangs des Wortes „Hypochondrie“ oder „Hypochonder“ wird heute stattdessen zunehmend der Begriff „pathologische Krankheitsangst“ verwendet, um diese psychische Störung von Krankheitswert zu beschreiben. Dies spiegelt sich auch in der neuesten Änderung des Diagnosesystems für psychische Erkrankungen, dem DSM-5 wider: Hier wird die Ausprägung der Hypochondrie, in der die Ängste vor einer Erkrankung im Vordergrund stehen mit „Illness Anxiety Disorder“ (dt.: Krankheitsangststörung) bezeichnet. Stehen weniger die Ängste, sondern mehr das Leiden unter den körperlichen Beschwerden im Vordergrund, fällt dies zukünftig im DSM-5 unter die Diagnose „Somatic Symptom Disorder“ (dt.: Somatische Belastungsstörung). Teilweise wird auch der Begriff „Health Anxiety“ (dt.: Gesundheitsangst) verwendet.
Diagnose Hypochondrie
Von pathologischen Krankheitsängsten Betroffene leiden häufig unter verschiedenen körperlichen Beschwerden (z. B. Stechen in der Brust, Kopfschmerzen, Schwindelgefühl, Magenbeschwerden, Veränderungen der Haut). Wenn diese auftreten, befürchten sie in diesem Moment, lebensgefährlich erkrankt zu sein. Es kommen automatisch Gedanken wie „Es könnte etwas Schlimmes sein“, „Vielleicht gibt es keine Heilungschancen.“ So befürchten sie bei Kopfschmerzen und Schwindel z. B. einen Hirntumor oder ein Aneurysma. Oder interpretieren Verdauungsbeschwerden nach einer Mahlzeit als Zeichen für eine Magenerkrankung oder sogar Krebs.
Dies ist das zentrale Problem bei Menschen mit pathologischen Krankheitsängsten: Die Angst und Sorge, an einer schweren körperlichen Erkrankung (z. B. Krebs, AIDS, Multiple Sklerose, Demenz u.a.) zu leiden oder diese zu entwickeln, auch wenn Ärzt*innen das Gegenteil versichern.
Hierbei kann eine einzige Erkrankung im Vordergrund stehen, bei einigen Betroffenen wechseln körperliche Missempfindungen und Krankheitsideen jedoch auch recht schnell. Auch kann es „gute“ Tage geben, ohne Symptome und Sorgen. An anderen Tagen wiederum sind die Betroffenen fest überzeugt, dass es schlecht um sie bestellt ist. Die Betroffenen können gesund sein, oder auch eine medizinische Erkrankung haben. Bei letzterem befürchten sie eine Verschlimmerung der Erkrankung oder weitere Erkrankungen und verwenden übertrieben viel Zeit und Energie auf ihre Symptome und Sorgen.
„Normale“ vs. pathologische Krankheitsangst
Jeder Mensch hat in gewissem Ausmaß Angst, zu erkranken, wenn er körperliche Missempfindungen wahrnimmt, die er nicht einordnen kann. Dies ist hilfreich und überlebensnotwendig, da Angst uns signalisiert, dass etwas nicht stimmt und uns veranlasst, eine entsprechende Behandlung aufzusuchen. Krankheitsangst kann als dimensionales Merkmal gesehen werden: Von fehlendem über angemessenes Krankheitsbewusstsein bis hin zu pathologischen Krankheitsängsten und hypochondrischen Wahn.
Ist die Angst, schwer erkrankt zu sein, stark ausgeprägt, hält die Erleichterung nach einem Ärzt*innenbesuch nur kurz an und lassen sich die Gedanken an die mögliche Erkrankung nicht mehr ausreichend kontrollieren, liegt wahrscheinlich eine psychische Störung vor. In diesem Fall besteht meist ein hoher Leidensdruck mit geringer Belastbarkeit im Beruf, Unzufriedenheit und geringer Lebensqualität. Um die Diagnose einer Hypochondrie zu vergeben, müssen gewisse Kriterien erfüllt sein, die von einer Psychotherapeutin, bzw. -therapeuten oder einer Ärztin, bzw. einem Arzt in einem ausführlichen Gespräch erfasst werden:

Kernpunkte der Diagnose Hypochondrie
(vereinfachte Formulierung, nach ICD-10 und DSM-5 zusammengefasst), (Bleichhardt & Martin, 2017)
- übermäßige Beschäftigung mit der Angst oder Überzeugung, eine ernsthafte Erkrankung zu haben oder zu bekommen
- die Beschäftigung mit den Krankheitsängsten bleibt auch dann bestehen, wenn eine angemessene medizinische Abklärung und Rückversicherung durch den Arzt bzw. die Ärztin erfolgt ist
- die Krankheitsängste verursachen in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Lebensbereichen
- die Krankheitsängste bestehen für mind. 6 Monate
- die Krankheitsängste werden nicht besser durch eine andere psychische Störung erklärt
- Krankheitsängste zeigen sich deutlich in spezifischen Gedanken und/oder Verhaltensweisen: Betroffene denken viel über das Vorhandensein ernster Erkrankungen und die Bedeutung körperlicher Missempfindungen nach. Sie setzen Verhaltensweisen zur Rückversicherung, Selbstkontrolle und Informationssuche ein, um ein Sicherheitsgefühl für das Nicht-Vorhandensein der befürchteten Krankheit zu erlangen. Oder sie vermeiden Situationen und Aktivitäten, weil sie befürchten, dass Ängste oder Missempfindungen dadurch verstärkt würden.
Symptome der Hypochondrie
Die Symptome der Krankheitsangst lassen sich gut mithilfe der vier Bereiche Körperempfindungen, Gedanken, Gefühle und Verhalten beschreiben:
Typische Körperempfindungen bei Hypochondrie
Es können eine Bandbreite an körperlichen Missempfindungen vorliegen, zumeist handelt es sich aber um typische Körpersymptome schwerwiegender Erkrankungen: z. B. schneller Herzschlag und Engegefühl in der Brust bei Angst vor einem Herzinfarkt; Kopfschmerzen und Schwindelgefühl bei Angst vor einem Gehirntumor; auffälliger Fleck oder Erhebung auf der Haut bei Angst vor Krebs; Erinnerungslücken bei Angst vor Demenz, u.s.w. In der Regel richten Betroffene ihre Aufmerksamkeit stark auf den eigenen Körper aus und spüren körperliche Missempfindungen überdeutlich. Diese Symptome sind tatsächlich vorhanden, gewisse Prozesse können jedoch zu einer verstärkten Wahrnehmung und Verstärkung der Symptome führen. Aufgrund gewisser Vorerfahrungen halten Betroffene eine schwere Erkrankung häufig für sehr wahrscheinlich und bewerten die Missempfindungen oft automatisch als Zeichen einer ernsthaften Erkrankung.
Typische Gedanken bei Hypochondrie
Bei Wahrnehmung dieser Körperempfindungen treten automatisch Krankheitsbefürchtungen auf: „Es könnte etwas Schlimmes sein“, „Wahrscheinlich ist es Krebs“, „Meine Familie und ich werden die Behandlung nicht ertragen.“ Die körperlichen Empfindungen werden daraufhin regelmäßig kontrolliert (z. B. durch Abtasten des Körpers, Pulsmessen), um eine Verschlimmerung schnell zu bemerken. Dieses Verhalten nennt man Bodychecking. Durch die erhöhte Aufmerksamkeit werden alle Veränderungen des Körpers, auch normale Abweichungen, überdeutlich wahrgenommen und häufig als schädlich fehlinterpretiert. Durch das wiederholte Abtasten können teilweise auch Symptome unbeabsichtigt provoziert oder verstärkt werden. Weitere bedrohliche Gedanken können sein, dass es keine Heilungschancen gibt, oder dass man mit schweren Einschränkungen (z. B. nicht mehr sprechen oder gehen zu können) zu leben hätte.
Wesentliches Gefühl bei Hypochondrie
Das vorherrschende Gefühl bei Hypochondrie ist Angst, vor allem Angst vor schweren Erkrankungen, vor dem Tod und Leiden unter einer Erkrankung, deren Behandlung oder vor einer erheblichen Einschränkung im Leben. Auch die Angst selbst kann über die dadurch ausgelöste Stressreaktion des Körpers gewisse Symptome auslösen, die wiederum zu katastrophisierenden Bewertungen und erneuter Angst führen können, ein Teufelskreislauf. Auch andere negative Gefühle wie Hilflosigkeit oder Traurigkeit können bei der Vorstellung, nicht mehr lange zu leben, auftreten.

Typisches Verhalten bei Hypochondrie
Um möglichst wenig unter den oben beschriebenen Gedanken und Gefühlen zu leiden, zeigen Krankheitsängstliche eine Reihe von Verhaltensweisen, die im Folgenden beschrieben werden:
Sicherheitssuche
Viele Betroffene suchen immer wieder bei Ärzten, bzw. Ärtzinnen, bei Bekannten oder in den Medien/Internet nach der Versicherung, dass keine ernsthafte Erkrankung vorliegt. Sie fühlen sich dann meist zunächst erleichtert. Allerdings hält dies nur kurzfristig an, bei der nächsten körperlichen Missempfindung kehrt die alte Angst zurück und es wird eine erneute Abklärung gewünscht. Personen, die sehr häufig ärztliche Rückversicherungen suchen, verlieren zunehmend ihr Vertrauen in den eigenen Körper und die Fähigkeit, sich selbst zu beruhigen. Im Gegensatz dazu gibt es auch Betroffene, die Arztbesuche gänzlich vermeiden aus Angst, ihre Befürchtung könnte bestätigt werden. Dies führt dazu, dass sie wichtige Kontrolluntersuchungen oder Vorsorgetermine nicht wahrnehmen.
Vermeidungsverhalten
Weiterhin kann es passieren, dass Betroffene dem Thema Krankheit aus dem Weg gehen. Sie vermeiden z. B. Berichte über Krankheiten im Fernsehen oder Gespräche im Bekanntenkreis. Zudem suchen sie Friedhöfe, Krankenhäuser und Ärzte, bzw. Ärztinnen teils nur ungern oder gar nicht auf. Hierbei spielt die Angst, die Situation nicht aushalten zu können, eine Rolle. Zudem befürchten Betroffene, dass sie aufgrund neuer Informationen Angst vor weiteren Krankheiten entwickeln oder sich ihre bisherigen Ängste verstärken könnten. Teilweise werden auch körperliche Aktivitäten vermieden, da angenommen wird, durch diese den eigenen Zustand zu verschlimmern.
Fallbeispiel: Welche Aspekte Paul in der Behandlung hilfreich fand:
Paul war skeptisch, als sein Hausarzt ihm riet, eine Psychotherapie aufzusuchen. Er vermutete, dass seine Beschwerden eine biologische Ursache hatten, fragte sich jedoch auch zunehmend, warum er trotz unauffälliger Befunde weiterhin Beschwerden hatte und war die vielen Arztbesuche und Sorgen langsam leid.
In der Therapie fand er zum einen hilfreich, alternative und weniger bedrohliche Erklärungen für seine körperlichen Symptome kennenzulernen. So konnte er zunehmend sein Erkrankungsrisiko realistischer einschätzen. Zum anderen wollte er nach Diskussion der Vor- und Nachteile der Arztbesuche, versuchen, diese auf ein sinnvolles Maß zu begrenzen und empfand es hilfreich, sich an empfohlene Kontrolluntersuchungen für seine Colitis zu halten und feste Kriterien für einen Arztbesuch festzulegen. So lernte er zunehmend, dass kurzzeitige Missempfindungen normal sind, auch wieder verschwinden und er sich selbst beruhigen kann.
Zuletzt empfand er die Auseinandersetzung mit seinen schlimmsten Befürchtungen zwar als herausfordernd, aber auch als erleichternd. Er machte die Erfahrung, dass das Aussprechen seines Worst-Case-Szenarios nicht wie befürchtet zu einer Verschlimmerung seiner Ängste führte. Vielmehr hatte er jetzt eine konkretere und sachlichere Vorstellungen zur Erkrankung und Behandlung und machte die Erfahrung, diese Konfrontation und damit einhergehende Gefühle wie Angst und Traurigkeit, bewältigen zu können.
Weitere Informationen zu Hypochondrie
Wer ist betroffen? -Prävalenz
Es gibt nur wenige Studien zur Häufigkeit der Hypochondrie. Das Vollbild liegt vermutlich in Deutschland bei 0,4% der Bevölkerung vor, Männer und Frauen sind gleichhäufig betroffen. Bezieht man sich bei den Befragungen auf den Begriff Krankheitsangst, liegt die Prävalenz länderübergreifend bei 7%, da die Kriterien hier weicher formuliert sind (Bleichhardt & Weck, 2015).
Mögliche Folgeerkrankung

Weg zur richtigen Hilfe
Oft vergeht jedoch viel Zeit, bis sich Betroffene professionelle Hilfe suchen. Einerseits haben sie große Zweifel an der Erklärung, dass auch psychische Faktoren eine Rolle spielen könnten und sie hoffen auf eine 100%-ige Versicherung, nicht körperlich erkrankt zu sein. Andererseits kann das negative Klischee des „Hypochonders“ als Simulant*in abschrecken, das Problem so zu benennen. Auch das Aufsuchen einer Psychotherapie ist in unserer Gesellschaft noch nicht vollständig wertfrei. Der erste Schritt zur Hilfe ist also, das Problem anzuerkennen und sich geeignete Hilfe zu suchen. Hierbei ist die Kognitive Verhaltenstherapie die Therapie erster Wahl, die bei zwei Drittel der Behandelten eine deutliche Besserung der Beschwerden erreicht (Bleichhardt & Weck, 2015). Die Kosten der Psychotherapie bei einem Psychotherapeuten vor Ort werden von den Krankenkassen übernommen.
Quellenangabe zu Hypochondrie und Krankheitsangst
Bleichhardt, G. & Martin, A. (2017). Krankheitsängste erkennen und bewältigen. Ein Ratgeber für Betroffene und Angehörige. Göttingen: Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG
Sollten Sie vor einer Psychotherapie vor Ort noch zurückschrecken, sind die Hürden zu hoch oder Sie empfinden nur mild ausgeprägte Ängste, wenden Sie sich gerne an mich und wir klären ab, ob mein Beratungsangebot die richtige Lösung für Sie ist.
Psychologische Onlineberatung und ADHS-Coaching
Laura Nickel
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